Die Morgensonne im Gepäck habe ich mich Anfang August für einen Tagesausflug auf den Weg in den Harz gemacht. Dort wollte ich vor allem das Obscurum besuchen, das sich selbst als „Deutschlands größtes Museum der Hexerei und der dunklen Mächte“ bezeichnet. Auf über 400m² gibt es dort eine ausführliche Ausstellung zu Okkultem, dunkler Folklore und der Historie hinter allerlei Mythen und Phänomenen.
Das Obscurum ist direkt im Bahnhofsgebäude zu Hause. Ich hatte es also nach meiner Ankunft nicht weit. Außerdem ist der Eingang kaum zu übersehen. Die Besucher*innen werden direkt von lebensgroßen Schreckgestalten begrüßt. Doch auf reinen Geisterbahngrusel für Touristen war ich nicht aus. Ich erhoffte mir, den ein oder anderen Fakt, den ich noch nicht kannte und interessante Geschichten mit nach Hause zu nehmen.
Neben Hexerei greift das Museum viele weitere alte Bekannte aus Gruselgeschichten und Volksglauben auf, wie Vampire, Geister und Werwölfe - um nur einige der berühmtesten zu nennen. Von Raum zu Raum hangelt man sich so durch ein prall gefülltes Sammelsurium alter und aktueller Horrorlegenden aus aller Welt. An welcher Stelle und wie eng diese Legenden mit der Wirklichkeit verknüpft sind, wird dabei immer wieder deutlich. Manche Rituale und Sichtweisen mögen heute abwegig und kurios wirken, für die Menschen früherer Jahrhunderte gehörten sie zum Weltbild. Weiße Wäsche waschen während der Raunächte? Auf keinen Fall, sonst wird sie zum Totenhemd im kommenden Jahr! Angst vor einem Nachtalb? Stell die Schuhe verkehrt herum vor dein Bett, das beschäftigt ihn die ganze Nacht.
Lebensobjekte und Totmacher
Wie grausam und perfide gefürchteten Bedrohungen dabei begegnet werden konnte zeigt sich, sobald andere Menschen ins Spiel kommen. Die altbekannten Hexenprozesse, die die Ausstellung natürlich ebenfalls ausführlich aufgreift, haben so viele Menschen grausame Folter erfahren lassen und ihnen das Leben gekostet.
Auch die Geschichten bekannter Mörder*innen wie jene der Blutgräfin Elisabeth Báthory und Gille de Rais, die durch ihre buchstäblich monströse Art zu Legenden wurden, zeigen, wie nah Horrorgeschichten und Realität beieinander liegen können.
Die Ausstellung zeigt auf ganz unterschiedlichen Ebenen, wozu Menschen im Angesicht des Unfassbaren oder als Epizentrum unbegreiflichen Schreckens fähig sind. Grausamkeit auf der einen, naturverwobene Fantasie in Form von Mischwesen, Kräuterritualen und Alraunen auf der anderen Seite – und dazwischen alle erdenklichen Geschichten und Kultobjekte.
Das Schädelorakel: Der Schädel wurde zu verschiedenen Zeiten als Instrument zur Vorhersage genutzt. Im 15. Jahrhundert verurteilte der Arzt Johann Hartlieb dieses Vorgehen, weil er befürchtete ein Dämon könnte aus dem Schädel kriechen und fälschliche Antworten geben. Magier nutzten solche Orakel eher ähnlich einer Glaskugel. Mit konzentriertem Blick auf den Schädel erhofften sie sich Antworten aus den Tiefen des Unterbewusstseins.
Das Lebendige, Körperliche zieht sich wie ein unabkömmliches Verbindungsstück durch viele der gezeigten Legenden, Rituale und die Rechtsprechung. Schädelkulte, eingemauerte Tiere und Köpfe, die vor Dämonen und Schadzauber schützen sollten greift das Obscurum unter anderem auf. Außerdem finden sich absonderliche Blüten der Rechtsgeschichte: Die Bahrprobe beruht beispielsweise auf der Auffassung, dass die Leiche eines Mordopfers auf den Mörder reagiert. Im 14. Jahrhundert fest im Gesetz verankert, musste so ein Mörder den Leichnam seines Opfers berühren. Blutete die Leiche daraufhin, galt dies als Schuldbeweis, da der Geist des Verstorbenen so eine Reaktion auf den Mörder zeige.
Der Körper wurde vielfach zum Zentrum unsichtbarer Kräfte, eine Verbindung zwischen den Welten und kultischer Stellvertreter des Lebens an sich. Es gibt entsprechend viele Exponate zu sehen, die diese Perspektive des Okkulten auf den Körper veranschaulichen – als Nachbildung oder echtes Ausstellungsstück.
Urwüchsiger Zauberwald
Nach meinem Ausflug in die okkulte Historie und obskure Welten trat ich wieder hinaus in die sommerliche Mittagssonne. Ich wollte noch weiter die Gegend erkunden und den Wildtierpark besuchen. Es dauerte nicht lange und ich fand mich in atemberaubender Natur wieder. Massive Felsformationen ragten aus dem satten Grün des Waldes hervor. Am Fuße der Berge bahnt sich die Bode ihren Weg durch das Tal, ein breiter, flacher Fluss, in dem bemooste Gesteinsbrocken wie Sonnenbänke liegen. Es fehlen nur noch Nixen und tanzende Wassergeister und das Märchenbild ist perfekt.
Im Harz ist natürlich Goethe nicht weit. Auch hier läuft er einem über den Weg. Für den Dichter und Naturforscher war der Harz Inspiration nicht zuletzt für den Faust. Auf mehreren Reisen erkundete er die waldige Felsenlandschaft und war auch im Bodetal unterwegs. (Infotafel Goepark Harz) Da ist es wenig verwunderlich, dass ihm hier ein Wanderweg und ein sagenumwobener Felsen gewidmet sind. Doch auch ganz ohne Goethe versetzen einen die Felsmassive am Rand der Bode ins Staunen. Stein türmt sich auf Stein. Zwischen den moosigen Brocken kriechen Bäume und Gewächs hervor. Kleine schwarze Höhlen bilden sich verstreut zwischen den uralten Trümmern.
Nachdem ich eine Weile am Fluss entlang lief, schlängelte ich mich an den vielen Touristen an einem Gasthaus vorbei und überquerte die Jungfernbrücke. Jetzt begann der eigentliche Aufstieg: Im Zickzack nach oben, Steine und nochmals Steine. Eine kleine Kletterpartie. Ich hatte ohnehin keine andere Wahl, denn zum Tierpark war das für mich der kürzeste und einzig sinnvolle Weg.
Schon während des Aufstiegs lohnt sich an der richtigen Stelle ein Blick ins Tal. Ich bin eigentlich nicht so der Berge-Typ, aber das war schon atemberaubend. Oben angekommen hat man von der La Viershöhe aus nochmal einen weiteren Blick.
Kaum war ich auf dem Berg angelangt, war es mit der Ruhe in mitten der Natur auch schon wieder vorbei. Im Tierpark und auf dem nahegelegenen Hexentanzplatz war einiges los. Ich war am absoluten Touristen-Sammelplatz angekommen. Im bunten Gewusel und zwischen Buden voller Nippes dem das hexenhafte in jeglicher Form aufgedrückt wurde, verfliegt das Magische ganz schnell. Entsprechend bald begab ich mich nach meiner Runde durch den Tierpark auf den Rückweg – wieder Zickzack, wieder Steine aber dieses Mal ein anderer Weg.
Noch einmal atmete ich den Wald ein und staunte vor dem ein oder anderen Felsen. Ich verabschiedete mich von Thale und einem Tag voller unterschiedlicher Eindrücke mit dem Gefühl von einer Welt in die nächste gestolpert zu sein – Horror und Magie, Natur und Bratwurstbuden-Tourismus. Am Ende versuchte ich davon nur das in meinen imaginären Rucksack zu packen, was ich von diesem Ort mitnehmen wollte und was ihn am Ende zauberhaft macht.
Wegweiser
Im Bahnhofsgebäude in Thale befindet sich auch die Touristinformation, die bestens mit Infomaterial und Karten für die vielen Wanderer und Touristen ausgestattet ist. Hier habe ich mir eine solche Wanderkarte besorgt, die einen ganz gut durch die Umgebung führt. Außerdem sind überall Schilder zu finden, die die verschiedenen Wanderwege kennzeichnen.
Für die sehr steinigen Wege, die ich für den Auf- und Abstieg genommen habe, ist festes Schuhwerk auf jeden Fall angebracht. Es gibt aber auch Seilbahnen, die auf den Berg und wieder ins Tal fahren, sollte einem nicht nach wandern zumute sein.
Im Obscurum ist das Fotografieren übrigens erlaubt. Es wird sogar nochmal darauf hingewiesen. Wie ihr seht, habe ich auch ein paar Bilder gemacht.
Die im Text genannten Infos zu den einzelnen Erzählungen und Exponaten des Obscurums habe ich der Ausstellung bzw. den dort aufgestellten Infotafeln entnommen.
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