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Die Toten leuchten den Weg

Irrlichter sind Teil vieler Kulturen, sie boten sich an für Erklärungen von scheinbar Unerklärlichem und zogen in unsere Geschichten ein. Ein Leuchten auf dunklen Wegen, im Zwielicht unserer Vorstellungskraft. Näher am Tod, als am Leben. Entsprechend viele Namen haben sie, die von Jenseits-Assoziationen bis zu Personifikationen mit dazugehörigen Biografien reichen. Da ist die canwyll corff (“Leichenkerze”), mit der das Phänomen von dem Waliser Dafydd ap Gwilym erstmal 1340 schriftlich benannt wurde. Da sind das “Totenlicht” und das japanische “Dämonenfeuer” (onibi). Da trägt der vom Teufel verdammte Jack O’ Lantern seine Laterne auf ewig durch den irischen Sumpf.



Wenn Tolkien Sam und Frodo in “The Lord of the Rings” durch die Sümpfe führt und ihnen neben Gollum als fragwürdigen Führer noch Irrlichter zur Seite stellt, kulminiert das bedrückende Gefühl, sich auf einer unsicheren Reise zu befinden, in einem nach Tod riechenden Delirium. Das Unklare, Trügerische legt sich auf Gemüt und Sinne. Als wäre die Bürde ihrer Aufgabe nicht schon schwer genug für die tapferen Hobbits.


Jenseits der Geschichten sind Irrlichter inzwischen vor allem ein Faszinosum der Natur, dass sich aufgrund seiner Eigenart diesen gewissen fantasiebeflügelnden Funken Magie behält: Blaue geisterhafte Flammen durch brennendes Gas erzeugt in dunkel-romantisch anmutenden Landschaften oder fluoreszierende Lebewesen, die sich wunderbar mit einer verwunschenen Anderswelt assoziieren lassen, wie schwirrende Leuchtkäfer oder glühende Baumpilze. Ihr Leuchten weckt unsere Neugier und hat so manchen Wanderer schon von seinem Pfad abgeführt.


Unsere Wege sind oft, zumindest zum Teil, unklar oder unwegsam. Wie praktisch wäre da ein Licht, das uns zeigt wo es lang geht. Doch welchen Lichtern können wir auf unseren Reisen trauen? Die Unsicherheit bleibt eine ständige Begleiterin, mit der wir uns anfreunden müssen. Da helfen nur Trittsicherheit und die nötige Vorsicht, wenn wir mutig die Schritte gehen, die uns voran bringen. So gesehen sind Irrlichter ein Symbol für zutiefst menschliche Irrungen, Wirrung und Abwägungen. Entscheidungen über das “wie weiter”, die unser Leben in allen Zeiten bestimmen.


Illustration Irrlichter
Illustration und Gestaltung: Maria Hoffmann | Zitat (l.u.): John R. R. Tolkien: "The Lord of The Rings - The Two Towers", Harper Collins Publishers, 1991, 2007

 

Für die Illustration und diesen Text habe ich die folgenden Quellen herangezogen:


"Das Fabelwesen der Montas März - Das Irrlicht", Arbeitskreis für vergleichende Mythologie e.V. (Letztmalig abgerufen: 02.05.2022)


Petzold, Leander: "Irrlicht" in: "Kleines Lexikon der Dämonen und Elementargeister", C.H. Beck, 2014


„Irrlicht“, Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, (Letztmalig abgerufen: 02.05.2022)


"Herber Zwergknäueling", biologie-seite.de (Letztmalig abgerufen: 02.05.2022)


"Leuchtkäfer" auf spektrum.de, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH (Letztmalig abgerufen: 02.05.2022)


"Luciferine" auf spektrum.de, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH (Letztmalig abgerufen: 02.05.2022)


Daller, Thomas: “Spukende Geister und irrlichternde Flammen": sueddeutsche.de, Süddeutsche Zeitung GmbH, 2016 (Letztmalig abgerufen: 02.05.2022)


Tolkien, John R. R.: "The Lord of The Rings - The Two Towers", Harper Collins Publishers, 1991, 2007



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